1945 bis heute
Nur ganze wenige der nach Gurs oder direkt in den Osten deportierten Juden kehrten in den Kraichgau zurück. Von den bis 1939 ausgewanderten Juden kehrte, mit Ausnahme nach Heidelberg-Rohrbach, niemand mehr in seine Kraichgauer Heimat zurück.
Von den am 22. Oktober 1940 neun nach Gurs deportierten Juden aus Kirchardt- Berwangen überlebten nur drei die Vernichtungslager. Im August 1946 kehrten Abraham und Elsa Gutmann in ihren Heimatort zurück. Elsa überlebte das Lager im südfranzösischen Gurs unter anderem nur deshalb, weil sie sich den Fuß brach und dieser nicht ordnungsgemäß behandelt wurde. Sie musste deshalb außerhalb des Lagers nachbehandelt werden. Dadurch kam sie in ein Krankenhaus von katholischen Schwestern. Diese sorgten für sie und versteckten sie. Elsa Gutmann konnte sehr gut sticken und stellte für die Schwestern Spitzendecken und gottesdienstliche Tücher her und trug so zu ihrem Lebensunterhalt bei und konnte auch ihren Mann unterstützen. Über diese Verbindung wurde auch Abraham Gutmann aus dem Lager geholt.[1] So überlebten beide das Lager und das Kriegsende.
[2] Elsa Gutmann mit einem Nachbar in Berwangen in den 1950er Jahren.
Der „krumme“ linke Fuß ist deutlich zu erkennen.
[3] Elsa Gutmann (links) auf der Fahrt nach Gurs in Oloron-Sainte-Marie (bei Gurs), März 1963
Abraham Gutmann starb zwei Jahre nach seiner Rückkehr, Elsa Gutmann 1973. Beide sind auf dem jüdischen Friedhof in Berwangen bestattet.
In die vom Krieg stark zerstörte Stadt Bruchsal zogen insgesamt vier Personen zurück: Das Ehepaar Josef Falk, Sophie Wolf und Sofie Maier. Sofie Maier blieb bis zu ihrem Tod in der Region und verstarb im Januar 1963 in Heidelsheim.[4] Der Ende Oktober 1938 mit seiner Familie von Angelbachtal-Eichtersheim nach Polen abgeschobene Manfred Kort kehrte mit seiner Mutter und seiner Schwester nach dem Krieg für kurze Zeit nach Eichtersheim zurück. Nach dem Tod der Mutter 1949 wanderte er mit seiner Schwester in die U.S.A. aus. Für Leingarten-Schluchtern trifft dies nur auf David Kirchhausen zu. Er lebte wieder in seinem Heimatort bis zu seinem Tod im Jahre 1969 und wurde auf dem jüdischen Friedhof der Gemeinde bestattet.[5] Nach Heidelberg-Rohrbach kamen sechs Überlebende der Lager und einige Emigranten zurück. Die bereits im Jahr 1945 wiederbegründete Heidelberger Gemeinde mit bald über 300 Mitgliedern kann hierfür ein Grund für die verstärkte Rückkehr gewesen sein.[6]
Seit den 1970er Jahren setzten sich vereinzelte Gemeinden stärker mit der Zeit des Nationalsozialismus und dem Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung auseinander. In Wiesloch wurde 1974 ein Hinweisschild an den Ort der ehemaligen Synagoge angebracht. Die Straße wurde in Synagogengasse umbenannt. Besonders erwähnenswert ist die bereits im Jahre 1958 erfolgte Ernennung von Jacob Hecht (1879-1963, der gemeinsam mit seinem Bruder Hermann 1908 die Rhenania-Schifffahrts- und Speditionsgesellschaft in Mannheim begründet hatte) zum Ehrenbürger seiner Heimatgemeinde Gondelsheim.[7] In Karlsruhe-Grötzingen wurde 1983 auf Anregung des evangelischen Kirchengemeinderates in Zusammenarbeit mit der Ortsverwaltung Grötzingen am Standort der ehemaligen Synagoge (Krumme Straße 15) eine Gedenkstele errichtet. Anlässlich des 50. Jahrestages der Reichspogromnacht wurden 1988 im Kraichgau in mehreren Orten Gedenktafel bzw. Gedenksteine an deren ehemaligen Standorten angebracht (z.B. in Eppingen, Sinsheim, Wiesloch). Als erste Gemeinde im Kraichgau wurden in Bretten von Schülern des Melanchton-Gymnasiums unter Leitung von Lehrer Dirk Lundberg im Jahre 2005 Stolpersteine an den ehemaligen Wohnhäusern der Brettener Juden verlegt. 2008 kamen weitere Steine für die ehemals in Jöhlingen wohnhaften Juden dazu. Schüler der Realschule Waibstadt, des Adolf-Schmitthenner-Gymnasiums Neckarbischofsheim und des Wilhelmi-Gymnasiums Sinsheim kooperieren seit einigen Jahren im Rahmen von denkmal aktiv. Die Hauptaktivitäten konzentrierten sich zunächst bei der Mithilfe zur Sicherung und Restaurierung der Steinsfurter
Synagoge. Im Jahre 2006 kam das Hartmanni-Gymnasium Eppingen als weiterer Kooperationspartner dazu. Die Projektgruppe erstellte für das Jahr 2008 einen Kalender mit jüdischen Motiven aus dem Kraichgau und veröffentlichte im April 2008 die in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg erstellte Tourismuskarte Jüdisches Leben im Kraichgau.[8]
In der Stadt Bruchsal werden seit den 1980-er Jahren die ehemaligen jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger offiziell von der Stadt eingeladen. Seit 1985 haben viele ehemalige Bruchsaler Juden die Einladung angenommen und ihre Heimatstadt besucht. Im Jahre 2000 konnte Oberbürgermeister Doll dem aus Bruchsal stammenden Ernst Karlebach für dessen Engagement für seine Heimatstadt das Bundesverdienstkreuz überreichen.[9] In Eppingen fand im Oktober 2002, vor allem auf Initiative von Schülern des Hartmanni-Gymnasiums und der Hellbergschule, eine Begegnungswoche mit Überlebenden Eppinger Juden statt. Im April 2009 kam es in Sinsheim-Steinsfurt und Waibstadt zu ersten Mal zu einem Familientreffen der Familie Weil in ihrer ehemaligen Heimatregion, zu der mehr als 15 Personen aus Argentinien, Großbritannien, Mexiko und den U.S.A. in den Kraichgau reisten.
Im Rahmen des Abkommens mit der damaligen Sowjetunion leben seit den späten 1990-er Jahren wieder vereinzelt jüdische Menschen im Kraichgau (z.B. in Bretten) Sie werden, sofern dies von ihnen gewünscht wird, von der Jüdischen Gemeinde Karlsruhe betreut. Ob es aber in absehbarer Zeit zu einer Neugründung einer jüdischen Gemeinde im Kraichgau kommen wird, ist alleine schon aufgrund der demografischen Entwicklung eher unwahrscheinlich.
[1] http://www.alemannia-judaica.de/berwangen_gutmann.htm
[2] http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20131/Berwangen%20Gutmann%20026.jpg
[3] http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20131/Berwangen%20Gutmann%20022.jpg
[4] Stude, Jürgen: Geschichte der Juden in Bruchsal. Mit einem Beitrag von Thomas Adam. verlag regionalkultur 2007. S.370
[5] Angerbauer, Wolfram; Frank Hans Georg: Jüdische Gemeinden in Kreis und Stadt Heilbronn. Geschichte – Schicksale – Dokumente. Schriftenreihe des Landkreises Heilbronn. Band 1. Landreis Heilbronn 1986. S. 209
[6] Rink, Claudia unter Mitarbeit von Brigitte Kettner und Ursula Roper: Jüdisches Leben in Rohrbach. Sonderdruck aus: Jahrbuch zur Geschichte der Stadt Heidelberg. Jg. 8, 2003/04. S.21
[7] http://www.alemannia-judaica.de/gondelsheim_synagoge.htm
[8] Heitz, Michael: Jüdisches Leben im Kraichgau – Vier Schulen begeben sich auf Spurensuche. In: Oberrat der Israeliten Badens: Jüdisches Leben in Baden 1809 bis 2009. 200 Jahre Oberrat der Israeliten Badens. Festschrift. Jan Thorbecke Verlag 2009. S.203 – 214
[9] Stude, Jürgen: a.a.O., S.372f